Klarnamenpflicht - Retter des Internets?
Während der angehenden Pandemie sind viele Menschen genötigt, das Internet in deutlich größerem Umfang zu nutzen, als vor Lockdown und co. Nun ist es deswegen aber nicht verwunderlich, dass sich Probleme mit Nutzern häufen, welche sich einfach nicht benehmen können. Dass dieses Phänomen eine nachhaltige Lösung benötigt steht außer Frage, doch die aktuellen Ideen unserer Bundesregierung sollten dennoch kritisch hinterfragt werden.
Was ist Klarnamenpflicht und was möchte man damit erreichen? - Ein kleiner Überblick
Klarnamenpflicht oder auch Klarnamenzwang bedeutet, was der Name schon andeutet: Bei der Nutzung des Internets sollen künftig alle Nutzer ihren echten Namen angeben (müssen). Das große Ziel: Nutzer verhalten sich auf großen Plattformen angemessen, Hass und Hetze werden ausgelöscht und Straftäter können einfach und schnell zurückverfolgt und entsprechend bestraft werden.
Natürlich ist das grundsätzlich eine gute Idee. Hass und Hetze, sowie Desinformation, Falschmeldungen und andere Straftaten nehmen zur Zeit drastisch zu und müssen bekämpft werden!
Gerade jetzt müssen sich viele Menschen gezwungenermaßen mit dem Internet auseinandersetzen, da Job und Hobbies zunehmend digital veranstaltet werden - persönliche Treffen sind eben im Moment schwierig. Dadurch erfahren viele Menschen aber auch die dunklen Seiten des Internets: Phishing und Cyber-Angriffe nehmen zu, Hass und Hetze sind allgegenwärtig und Facebook, Twitter und Co scheinen Probleme damit zu haben, entsprechende Inhalte schnell und automatisiert zu entfernen.
Kriminalität im Internet ist einfach, da sich jeder hinter einer "anonymen" digitalen Identität verstecken kann.
Probleme mit der Klarnamenpflicht
Ich persönlich bin gegen die Klarnamenpflicht. Um meine Probleme damit zu verdeutlichen möchte ich einige Punkte nennen, die meinen Standpunkt verdeutlichen sollen.
An dieser Stelle möchte ich klarstellen, dass dieser Artikel nicht neutral ist. Ich habe einen klaren Standpunkt in dieser Sache. Es mag vielleicht auch gute Punkte geben, die für eine Klarnamenpflicht sprechen, aber ob diese die folgenden Nachteile überwiegen muss jeder für sich entscheiden. Ich empfehle jedem, sich weiter zu informieren und viele verschiedene Quellen zu lesen. Nur mit allen Fakten, kann man sich eine eigene und fundierte Meinung bilden.
Problem 1: Meinungsfreiheit
Natürlich mag es sein, dass Klarnamen nicht öffentlich sichtbar sein sollen und nur den staatlichen Behörden zugänglich gemacht werden müssen, aber den Namen einer Person zu kennen und jeden Schritt in diesem Fall nachvollziehen zu können ist kein Werkzeug, um ausschließlich "die Bösen" zu schnappen, sondern eine Waffe, die gegen jeden einzelnen Menschen eingesetzt werden kann.
Ich bin der Meinung, dass auch staatliche Behörden (oder auch gerade die) keinen Zugriff auf derartige Mittel haben sollten.
Natürlich, wir leben in Deutschland, haben eine Demokratie und können, zumindest ein bisschen, darauf vertrauen, dass die Daten nur für Verbrechen genutzt werden - Aber Klarnamenpflicht wäre ein erster Schritt zur Überwachung durch den Staat und zu möglicher Zensur. Und dass die Regierung durchaus bereit ist, zuerst nur für schlimme Verbrechen eingesetzte Mittel wie den Staatstrojaner generell und auf Verdacht einzusetzen, hat sich in den letzten Monaten gezeigt (Quelle).
Durch das Verabschieden eines Gesetzes zur Klarnamenpflicht könnten andere Länder diesem Beispiel folgen. Würde zum Beispiel Polen ein solches Gesetz verabschieden hätte dies gravierende Folgen für z.B. die LGBTQ+-Community, welche in Polen nicht toleriert wird (Quelle). Jeder nicht-Heterosexuelle Mensch müsste Angst haben, durch seine Aussagen im Internet zur Rechenschaft gezogen zu werden. Und gerade das Internet ist für viele ein Rückzugsort der Anonymität, wo sich gleichgesinnte austauschen können, ohne Angst zu haben, in ihrem Land verfolgt und verhaftet zu werden.
Die Klarnamenpflicht ist eine Waffe, welche zu mächtig ist, um eingesetzt zu werden. Dies würde falsche Signale an die falschen Länder senden und wäre ein weiterer Schritt von einer freien Internetkultur hin zu einer überwachten und kontrollierten Umgebung, in welcher jeder Satz auf die Goldwaage gelegt werden muss, da jederzeit der echte Name abrufbar ist.
Problem 2: Datenschutz
Mit der Einführung der Klarnamenpflicht müsste jede Person jeder Webseite entsprechende persönliche Daten zur Verfügung stellen. Ich möchte nicht jeder Seite meinen echten Namen geben. Dadurch wäre es ein leichtes, verbesserte Profile über uns zu erstellen, Konten mit gleichem Namen zu verknüpfen und der gläserne Mensch wäre noch mehr Realität als je zuvor.
Jeden Tag gibt es Millionen von Cyberangriffen in welchen potentiell Datenbanken und deren Inhalte gestohlen, veröffentlicht, verkauft und mit bösen Absichten verwendet werden (Quelle). Jeder dieser Sicherheitsvorfälle würde dann neben E-Mail-Adresse und (hoffentlich) verschleiertem Passwort auch immer den Vorn- und Nachnamen Angreifern zugänglich machen. Die Folgen wären auch hier verknüpfte Datensätze aus unterschiedlichen Vorfällen, einfacheres Social Engineering und viel schlechter erkennbares Phishing.
Eine zentralisierte Methode zur Angabe des Klarnamens könnte entsprechend Datenschutzfreundlich gestaltet werden, es ist aber fraglich, ob jede Webseite ihre Dienste entsprechend umstellen würde, um dies zu unterstützen.
Problem 3: Das Internet ist international
Das Internet ist nicht nur in Deutschland - Das sollte eigentlich jedem klar sein. Eine Klarnamenpflicht würde aber erstmal nur bei Betreibern mit Firmensitz in Deutschland durchgesetzt werden können. Natürlich würden große Firmen wie Google und Facebook die Regelungen entsprechend umsetzen, aber kleinere Firmen außerhalb Deutschlands bzw. der EU? Straftäter müssten nur anonymisierte Dienste außerhalb Deutschlands verwenden und schon war's das mit der Klarnamenpflicht.
Außerdem gibt es noch ein anderes gewaltiges Problem: Deutschland ist bei weitem nicht das Land mit dein meisten Angreifern. Aus einem 2020 veröffentlichten Bericht der finnischen IT-Sicherheitsfirma F-Secure geht hervor, dass die meisten Angriffe aus den vereinigten Staaten, China und Russland stammen. (Quelle) Wie also soll die Einführung der Klarnamenpflicht die Straftaten im Internet deutlich reduzieren, wenn die meisten Angreifer davon überhaupt nicht betroffen sind?
Problem 4: Verbote/Verpflichtungen hindern nur gesetzestreue Menschen
Die Klarnamenpflicht hindert Kriminelle nicht daran, weiter ihr Unwesen zu treiben. Durch VPN und TOR sind sie oft nicht einfach von Behörden auffindbar und können ihren Standort verschleiern. Wenn Klarnamenpflicht in Deutschland verpflichtend ist, dann verbindet man sich über ein VPN einfach mit einem Server in den vereinigten Staaten und schon hat man einen amerikanischen Account ohne Klarnamen. Klingt so einfach wie es ist...
Selbst mit einer Ausweispflicht bei der Registrierung ist die Klarnamenpflicht nicht einfach umsetzbar. Während die Ausweisapp nur für Ausweise mit entsprechend aktivierter Funktion und auch nicht für alle Handys verfügbar ist, wären alle alternativen Methoden potentiell überwindbar. In einem Beitrag des Y-Kollektiv auf YouTube (Zum Video) wird deutlich, dass nicht einmal Banken vor durch Phishing erhaltenen Ausweisbildern sicher sind. Es gibt schlichtweg keine sichere Möglichkeit, die Nutzung des echten Klarnamens zu überprüfen.
Klarnamenpflicht - Eine Kehrtwende von ursprünglichen Ansichten
Das seit 2007 existierende Telemediengesetz macht deutlich:
Der Diensteanbieter hat die Nutzung von Telemedien und ihre Bezahlung anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. Der Nutzer ist über diese Möglichkeit zu informieren. (Quelle)
Anonymität ist ein hohes Gut und sollte immer geschützt werden. Durch die Einführung der Klarnamenpflicht würden diese Werte beschränkt werden.
Auch der Bundesgerichtshof ist dieser Meinung:
Eine Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit auf Äußerungen, die einem bestimmten Individuum zugeordnet werden können, ist mit Art. 5 Absatz 1 Satz 1 GG nicht vereinbar. Die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde... die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen sich dahingehend entscheidet, seine Meinung nicht zu äußern. Dieser Gefahr der Selbstzensur soll durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung entgegengewirkt werden. (Quelle)
Wie in Problem 1 geschildert, hätte die Klarnamenpflicht zur Folge, dass Menschen fürchten müssen, ihre eigene Meinung kundzutun. Ein gravierender Schlag für die Meinungsfreiheit im Internet.
Dass die Klarnamenpflicht verheerende Folgen haben kann, zeigt sich auch in China: Dort wurde bereits eine Klarnamenpflicht eingeführt. (Quelle)
Ich finde China ist ein Paradebeispiel dafür, welche Gefahren drohen, wenn das Internet zu stark beschränkt und in Gesetze gedrückt wird. Staatliche Kontrolle und Einschränkung der Meinungsfreiheit sind dort an der Tagesordnung. Einen sehr guten Artikel dazu gibt es bei der Zeit: Zum Artikel
Dass unsere Regierung zuerst den Datenschutz und die Anonymität im Internet stark unterstützt und nun eine 180° Wendung einlegt, um weitreichende Einschnitte in die Privatsphäre der Bürger zu fordern finde ich bedenklich. Vor Allem wenn man die Tatsache betrachtet, dass unsere Behörden entsprechende Straftaten auch ohne Klarnamenpflicht erfolgreich aufklären, wie z.B. hier zu sehen.
Ein anderer Ansatz statt Klarnamenpflicht
Die Klarnamenpflicht hat trotz ihrer Probleme einen wichtigen Punkt in die Öffentlichkeit gebracht: Es müssen aktiv Maßnahmen ergriffen werden, um Straftaten im Internet zu verhindern. Aber ich bin der Meinung, dass es auch andere Wege gibt, um dies zu erreichen.
Ansatz 1: Sensibilisierung der Bevölkerung
Viele der Cyberangriffe treffen unerfahrene Internetnutzer. Ich habe schon von vielen Angriffen mitbekommen, bin täglich von Phishing-Mails betroffen und habe die interessantesten Fragen gestellt bekommen.
Aber wenn mich Lehrkräfte fragen, ob die Schul-Rechner gehackt wurden, weil ein Captcha statt der Google-Suchergebnisse angezeigt wird oder alles um mich herum peinlich berührt leise wird, wenn ich erzähle, dass ein Passwort für alle Internet-Accounts keine gute Idee ist wird ersichtlich, wie notwendig Sensibilisierung in diesem Bereich ist.
Meine Eltern hatten mehr Informatik-Unterricht als ich in der Schule - Obwohl ich mit Computern, Smartphones und co aufgewachsen bin. Und dann fragt man sich noch, warum es Angreifer so einfach haben?
Es benötigt verpflichtende Aufklärungsveranstaltungen in Schulen und kostenlose Angebote für Erwachsene - Auch wenn es nur Artikel auf einer offiziellen Webseite sind. Aber nur diese Inhalte bereitzustellen ist auch nicht genug. Es müsste eine Kampagne geben, um zu zeigen, wie wichtig Aufklärung im Internet ist.
Es sollte aber auch sichergestellt werden, dass verpflichtende Angebote an Schulen auch umgesetzt werden können. Informatikunterricht ist in Baden Württemberg Pflicht und doch wurde dieser bis zu meinem Abitur an meiner Schule nicht angeboten - Der Grund: Lehrermangel (Quelle)
Ansatz 2: Stärkere Ausbildung von Polizei und Behörden
Im Juni 2020 entdeckte ich einen öffentlichen Server mit 269 Millionen Email-Passwort Kombinationen, in welchem ich bestätigen konnte, dass dieser gültige Email-Adressen enthielt und noch nicht weithin bekannt war.
Zeitgleich kontaktierte ich Troy Hunt, den Erfinder von HaveIBeenPwned und meine örtliche Polizeistelle. Während die Polizei kein Interesse an meiner Entdeckung zeigte und mich vertröstete, doch auf einen Rückruf zu warten, schritt Troy Hunt sogleich zur Tat und fügte die Einträge seiner Datenbank hinzu, damit Betroffene eine Möglichkeit haben, von diesem Datendiebstahl zu erfahren. Die Polizei zeigte sich indes reichlich still - Ich musste ein zweites Mal anrufen und erst, als ich die Anzahl der Einträge in meinem Fund ermittelt hatte, wurde dem Beamten klar, dass 269 Millionen doch eine relativ große Zahl sei und er dies vielleicht mit seinem Chef abklären sollte - Na vielen Dank auch... (Im Anschluss kam zum Glück Leben in die Polizei und mein Fund wurde ernst genommen)
Diese Geschichte hat mir sehr deutlich vor Augen geführt, dass die Polizei anscheinend nicht ausreichend für die Online-Kriminalität geschult ist. Natürlich gibt es extra Abteilungen, welche sich um genau solche Fälle kümmern - aber für diese gibt es keine direkte Telefonnummer. Und solange dem Beamten meines Dorfes nicht klar wird, welches Ausmaß eine Meldung haben kann, werden solche Geschichten nicht an die richtigen Menschen weitergeleitet.
Deswegen denke ich, dass Polizei und co viel stärker auf solche Fälle geschult werden sollten, um ein schnelles Eingreifen zu ermöglichen und größeren Schaden zu verhindern.
Fazit
Ich bin kein Fan der Klarnamenpflicht. Ich denke, dass es zu viele Nachteile gibt, die mehr schaden als dass die Einführung der Klarnamenpflicht jemandem helfen würde. Die Polizei hat bereits weitreichende Möglichkeiten wie den Staatstrojaner, aber die gesamte Bevölkerung durch ein Gesetz im Endeffekt unter Generalverdacht zu stellen ist nicht sinnvoll. Wenn 2 Schüler sich nicht benehmen können wird ja auch nicht die ganze Klasse betraft, oder?
Es gibt viel dringendere Probleme die angegangen werden sollten, wie zum Beispiel die Sensibilisierung der Bevölkerung und ich denke, dass diese Maßnahmen viel schneller und weitreichender Früchte tragen als Klarnamen auf jeder deutschen Webseite.
Anonymität ist ein Gut, welches unbedingt geschützt werden sollte um die Meinungsvielfalt im Internet auch in Zukunft zu gewährleisten.